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Claudia Märzendorfer :
Für die Vögel

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Hollabrunn, 2019
Robert Löfflerstraße 20, 2020 Hollabrunn

Information

Hollabrunn ist neuerdings Sitz einer einzigartigen Vogelhaussiedlung: 38 Nist- und Futterhäuschen zieren auf unbestimmte Zeit die Gartenanlage rund um das dortige Landesklinikum. Frei nach dem Vorbild der Werkbundsiedlung* sind hier innovative Prototypen für ein zukunftsträchtiges Zusammenleben aller versammelt.

Diese außergewöhnliche Sammlung mit dem Titel Für die Vögel | For the Birds hat die Klinik einer Idee der in Wien lebenden Künstlerin Claudia Märzendorfer zu verdanken, die das bemerkenswerte Projekt mit über 40 von ihr eingeladenen Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Sparten umsetzte. Eine Soundinstallation am Seiteneingang zwitschert und pfeift darüber hinaus mehr und weniger Wissenswertes zur Vogelwelt. Anlass für dieses gemeinschaftliche künstlerische Manifest ist das 20-jährige Bestehen der sozialpsychiatrischen Abteilung am Landesklinikum Hollabrunn. Dieses Jubiläum will gefeiert werden; ein hierfür entwickeltes Kunstwerk soll ein nach außen hin sichtbares Zeichen setzen. Die therapeutisch positive Wirkung von Kunst ist ja ebenso unbestritten wie jene von zwischenmenschlicher Kommunikation und der intakten Beziehung des Menschen zu Tieren und zur Natur. Einen »aeronautischen Skulpturengarten« wollte Märzendorfer also schaffen. Dieser spezielle, weil von Vögeln benutzte Skulpturengarten soll den Menschen, die hier täglich ein und aus gehen – zu therapeutischen Sitzungen und Behandlungen, zur Arbeit oder um jemanden zu besuchen – gleichermaßen Freude bereiten und Stoff für angeregte Gespräche bieten.

Mit der ihm zugrunde liegenden Offenheit und Großzügigkeit setzt dieses kollektive Projekt darüber hinaus ein klares Zeichen für Vielfalt und Unkonventionelles, insbesondere aber für ein respektvolles Miteinander. Es ist ein erfrischender und ermutigender Gegenentwurf zu übersteigertem Individualismus und gesellschaftlichem Konformitätsdruck, (neoliberaler) Selbstoptimierung und deren mitunter gesundheitlichen Folgen.
Zum Projekt haben mehr als 40 Kunstschaffende quer über Generationen und geografische Grenzen hinweg beigetragen, ein ausgewogenes Gender-Verhältnis ist selbstverständlich. Die Liste der Beteiligten liest sich wie das A und O der heimischen und internationalen Kunstwelt. Von AA wie Azra Akšamija, der ausgezeichneten Künstlerin und Professorin am namhaften MIT in Cambridge (USA), bis WW wie Werner Würtinger, ehemaliger Präsident der Wiener Secession, der in seiner langjährigen Lehrtätigkeit in der Bildhauerklasse der Wiener Akademie mehrere Generationen von KünstlerInnen prägte.

Unter die Vogelimmobilien selbst reihen sich romantische Interpretationen – beispielsweise das aus anonymen Liebesbriefen gewebte Liebesnest der Musikerin Maja Osojnik oder das kirschrot leuchtende Cherry Couple der Künstlerinnen Toni Schmale und Wally Salner – ebenso wie organisch wuchernde Nestobjekte (Judith Fegerl, Simona Koch u. a.) und minimalistisch angehauchte Vogelkästen mit strengen, klaren Linien (etwa von Udo Bohnenberger oder Lotte Lyon). Auch Funktionales findet sich unter den Objekten, wie die Vogelbedürfnisanstalt des bekannten Cartoonisten Rudi Klein, ein Flugpost-Briefkasten der Autorin und Musikerin Ruth Cerha oder die Birdaid-Station von Andi Strauss. Für ausgelassene bis ekstatische Vogeltänze hat die erfolgreiche Band Elektro Guzzi die Vogeldisco Nest 54 beigesteuert, die aufstrebende Fotokünstlerin Sophie Thun wiederum ein intim-dezentes Fotostudio, und auf Bühnen können sich diverse Vogelarten spielerisch in Szene setzen, etwa auf jenen von Miriam Bajtala etwa oder der britischen Künstlerin Anne Hardy. Architektenvillen wurden entworfen, und ein Vogel-Spa eingerichtet (Anita Witek), Gedichte wurden verfasst und Kompositionen notiert (Ferdinand Schmatz & Annelie Gahl), Instrumente umfunktioniert (Ed Schnabl), aber auch Alltagsgegenstände – eine Bierkiste etwa vom Biennale-Künstler und Leiter der Bildhauerklasse an der Angewandten, Hans Schabus, oder ein Lagerhaus-Kübel von der Schweizer Künstlerin Regula Dettwiler, in deren Arbeit Natur eine zentrale Rolle spielt. Nicht zuletzt wird dank Direktschaltung zum Birdy TV-Sender des bekannten österreichischen Künstlers und Regisseurs Edgar Honetschläger dieser Bericht zur Hauptsendezeit ausgestrahlt.

Claudia Märzendorfer hat seit Ende der 1990er-Jahre über die Grenzen Österreichs hinweg mit spektakulären Eisarbeiten für Aufsehen gesorgt, beispielsweise mit ihrem DJ-Set mit Hunderten von Eisschallplatten zum Mozartjahr (Viel Lärm um Nichts, 2006), mit ihren lebensgroßen handgestrickten LKW-Ersatzteil-Skulpturen (darunter sechs Reifen, ein Motorblock, Auspuff etc.) und in jüngster Zeit mit filmischen Werken, die sich mit der Zerstörung von Musikinstrumenten, einem wiederkehrenden Phänomen in der Musikgeschichte, befassen: einer Klavierzerlegung in Smashed to Pieces (2018) und ganz aktuell einer E(is)-Gitarren-Auflösung in Still of the Night (2019). Mit einem weiteren hochaktuellen Projekt thematisiert Märzendorfer in einer künstlerischen Textarbeit pointiert das brennende Umweltthema des Plastikmülls, das sie in Form von Plastik-Plastiken zugleich ästhetisch verstörend ansprechend und präzise veranschaulicht.
In eigenen Worten strebt Märzendorfer mit ihrer Kunst an, »eine Welt neben oder parallel zu der Welt zu erzeugen, weil ich gesellschaftliche Vorgaben und Konventionen zumeist als beengend empfinde. Ich wundere mich vielfach über die Angepasstheit und halte sie für ein Grundübel unserer Gesellschaft.« Ihre Vision sei daher »grundsätzlich die einer
Abweichung oder Verschiebung von der ›Normalsituation‹.
(CM in einem Interview zum Thema Nachhaltigkeit, 2014).
Jeanette Pacher
(rspbrry club)

Informationen zu den einzelnen Projekten ...

* Die Wiener Werkbundsiedlung ist eine 1932 in Wien-Hietzing fertiggestellte Mustersiedlung für idealtypischen Wohnbau mit ursprünglich 70 (heute 64) von international anerkannten Architekten (und einer Architektin) entworfenen Einfamilienhäusern.

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Für die Vögel, Claudia Märzendorfer, 2019
© koernoe

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