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Iris Andraschek, Hubert Lobnig :
Wohin Verschwinden die Grenzen? – Kam Mizí Hranice?

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Fratres, 2009
Waldkirchen an der Thaya, 3844

Information

Die Arbeit "Wohin verschwinden die Grenzen? – Kam mizí hranice?" von Iris Andraschek und Hubert Lobnig bezieht sich auf die geopolitischen Veränderungen, die sich in Europa innerhalb des letzten Jahrzehnts vollzogen haben. Der Zusammenschluss eines europäischen Lebensraumes unter Nivellierung einstiger politischer Grenzzonen steht im Mittelpunkt einer Installation, die auf dem Territorium eines Niemandslandes entstand. Obwohl mittlerweile im geografischen Zentrum Europas, ist die Gegend an der österreichisch-tschechischen Grenze weitgehend isoliert – abgeschnitten von urbanen Einrichtungen und ohne Anbindung an städtische Nahversorgung. Der Schriftzug mit dem gleichnamigen Titel wurde in Leserichtung bei Verlassen des österreichischen Staatsgebietes als groß angelegte Buchstabeninstallation angebracht, um auf die einstige Situation während der realsozialistischen Staatenordnung hinzuweisen, in der der westeuropäische Lebensraum hier sein Ende nahm. Obwohl Tschechien 2004 der EU beitrat, blieb der Grenzübergang bis 2007 weiterhin Schengen-Außengrenze und daher ständigen polizeilichen Kontrollen unterworfen. Mit Erweiterung des Schengen-Wirtschaftsraumes verloren zahlreiche Grenzstationen innerhalb der EU ihre eigentliche Funktion und wurden somit zu architektonischen Relikten, deren Symbolcharakter heute lediglich in ihrer baulichen Existenz liegt.

Die Situation rund um die zwei Grenzorte Fratres und Slavonice wurde von Andraschek und Lobnig fotografisch recherchiert und als zusätzliche bildliche Referenzkette dem Schriftzug beigefügt. Ausgangspunkt der Recherche bildete jedoch nicht nur der konkrete geografische Anlass, sondern das Verschieben der Grenzen innerhalb einer globalen politischen Ordnung, die als Definitionsmacht Einwanderung und Migration zu regulieren versucht. Während der Grenzübergang von Fratres/Slavonice nicht Teil einer allgemeinen medialen Erinnerung darstellt, sind es vor allem jene Fotos, die aufgrund migratorischer Bestrebungen immer wieder medial verhandelt werden, etwa jene Vorgänge an den Grenzen zwischen Mexiko und den USA, Nordafrika und Lampedusa/Italien oder Ungarn und der Republik Serbien. Fotos dieser Regionen wurden von Andraschek und Lobnig ebenso in ihre Bildtafeln entlang dem Schriftzug inkludiert, um auf die prekäre Situation internationaler Schlepper- und Fluchtversuche hinzuweisen, die stets im Zentrum des medialen Interesses stehen. Bezogen auf die lokale Situation in Fratres und Slavonice thematisiert die Installation die Veränderung lokaler Arbeits- und Lebensstrukturen in einem Umfeld, das einst ein erhöhtes Aufgebot an Polizei- und Sicherheitsstrukturen erforderte und nun auf einige wenige Routinekontrollen an der Grenze reduziert wurde, jedoch den Austausch zwischen den beiden Orten durch das ungehinderte Passieren der Landesgrenze erhöht. Militärische Einrichtungen in den Wäldern dieser Region dienen als Erinnerungsfragmente an eine zeithistorische Bedingtheit, die die Bedeutung einstiger politischer Maßnahmen infrage stellt und durch Andrascheks und Lobnigs künstlerisches Signal mit seiner Bezugnahme auf die veränderten geopolitischen Strukturen als visueller Marker in der Landschaft vergegenwärtigt wird.
(Walter Seidl)